Folge 34 - Schlechte Zeit für Lyrik, Neue Naturdichtung (Bertolt Brecht, Erich Fried)

Lyrikschule - Un podcast de Johannes Thiele

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Darf ein Autor über die Natur schreiben, wenn die Welt dringendere Themen bereithält? Kann ein Autor oder eine Autorin ruhigen Gewissens ein Naturidyll beschreiben oder gibt es nicht geradezu eine Pflicht, sich politischen und gesellschaftskritischen Themen zuzuwenden? Das sind die Fragen, die Brecht und Fried in diesen beiden Texten umtreiben. Nichtsdestotrotz enthalten sie auch naturlyrische Beobachtungen, die den Autoren als Kontrastfolie dienen, um ihre jeweiligen Anliegen zu begründen. Bertolt Brecht Schlechte Zeit für Lyrik (1939) Ich weiß doch: nur der Glückliche Ist beliebt. Seine Stimme Hört man gern. Sein Gesicht ist schön. Der verkrüppelte Baum im Hof Zeigt auf den schlechten Boden, aber Die Vorübergehenden schimpfen ihn einen Krüppel Doch mit Recht. Die grünen Boote und die lustigen Segel des Sundes Sehe ich nicht. Von allem Sehe ich nur der Fischer rissiges Garnnetz. Warum rede ich nur davon Daß die vierzigjährige Häuslerin gekrümmt geht? Die Brüste der Mädchen Sind warm wie ehedem. In meinem Lied ein Reim Käme mir fast vor wie Übermut. In mir streiten sich Die Begeisterung über den blühenden Apfelbaum Und das Entsetzen über die Reden des Anstreichers. Aber nur das zweite Drängt mich zum Schreibtisch. Erich Fried Neue Naturdichtung (1972) Er weiß daß es eintönig wäre nur immer Gedichte zu machen über die Widersprüche dieser Gesellschaft und daß er lieber über die Tannen am Morgen schreiben sollte Daher fällt ihm bald ein Gedicht ein über den nötigen Themenwechsel und über seinen Vorsatz von den Tannen am Morgen zu schreiben Aber sogar wenn er wirklich früh genug aufsteht und sich hinausfahren läßt zu den Tannen am Morgen fällt ihm dann etwas ein zu ihrem Anblick und Duft? Oder ertappt er sich auf der Fahrt bei dem Einfall: Wenn wir hinauskommen sind sie vielleicht schon gefällt und liegen astlos auf dem zerklüfteten Sandgrund zwischen Sägemehl Spänen und abgefallenen Nadeln weil irgendein Spekulant den Boden gekauft hat Das wäre zwar traurig doch der Harzgeruch wäre dann stärker und das Morgenlicht auf den gelben gesägten Stümpfen wäre dann heller weil keine Baumkrone mehr der Sonne im Weg stünde. Das wäre ein neuer Eindruck selbsterlebt und sicher mehr als genug für ein Gedicht das diese Gesellschaft anklagt

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